Das John Maynard Smith Archiv (Signatur Add MS 86569-86840) ist eine wunderbare Ressource für die Geschichte der Evolutionsbiologie im 20. Jahrhundert. Das Archiv ist Teil der wissenschaftlichen Archiv- und Manuskriptsammlung der britischen Staatsbibliothek, der British Library (BL), in London. Mithilfe des Findbuches kann es online durchsucht werden.

John Maynard Smith (1920-2004) war einer der größten Evolutionsbiologen, den Großbritannien im letzten Jahrhundert hervorgebracht hat. Als Theoretiker ohne Angst davor, Mathematik in die Biologie einzubringen, hat er mehrere herausragende Beiträge geleistet: von der Definition der sogenannten “doppelten Kosten der geschlechtlichen Fortpflanzung” bis zur Entwicklung der evolutionären Spieltheorie.
Maynard Smiths erste Karriere war allerdings im Flugzeugbau; er hatte Ende der 1930er Ingenieurswissenschaften in Cambridge studiert. Erst 1947 entschied er sich, doch seiner Leidenschaft für Naturwissenschaften zu folgen: er schrieb sich am University College in London (UCL) für Biologie ein. Nach seinem Abschluss blieb er als Dozent und Genetiker an UCL und erforschte die europäische Fruchtfliege Drosophila subobscura. 1965 wechselte Maynard Smith als Dekan an die gerade gegründete University of Sussex in Brighton, wo er bis zu seiner Pensionierung 1985 blieb und auch danach als emeritierter Professor weiter forschte.
1977 wurde er zum Mitglied (Fellow) der Royal Society gewählt, die ihm über die Jahre mehrere Medaillen verlieh. Weitere Preise, die Maynard Smith erhielt, waren unter anderem der Crafoord Preis (das Äquivalent des Nobelpreises für Biologie, 1999) und der Kyoto Preis (2001).
Das Archiv wurde 2004 der British Library vermacht, etwas, das Maynard Smith noch selbst in die Wege geleitet hatte. Es ist ein Hybrid, wie so viele Archive der letzten Jahre: es beinhaltet zum Einen, ganz traditionell, Papiere – Notizen, Briefe, Vorlesungsmaterialien usw. – zum Anderen aber auch sogenannte born digital Materialien – Dokumente und Ähnliches, die digital entstanden und auf Disketten und Festplatten erhalten sind.
Inhaltlich umfasst das Archiv hauptsächlich Material, das zwischen den 1970er und 1990er Jahren entstanden ist. Aus Maynard Smiths früheren Jahren als Ingenieur und seinen Anfängen als Naturwissenschaftler ist wenig bis gar nichts erhalten. Ebenso findet man kaum Persönliches, Politisches oder Administratives, obwohl Maynard Smith einige Jahre Mitglied der Kommunistischen Partei Großbritanniens war und lange als Dekan tätig. Die Korrespondenz ist dafür umso aufschlussreicher: mit Kollegen auf der ganzen Welt hat Maynard Smith wissenschaftliche Probleme oft bis ins Detail diskutiert.
Wenn man trotzdem etwas über Maynard Smith in jungen Jahren und seine persönlichen Ansichten wissen möchte, dann sollte man sich das Web of Stories Interview, das Richard Dawkins 1997 mit ihm geführt hat, anschauen. Aufgeteilt in “Geschichten” von jeweils ein paar Minuten führt es den Zuschauer durch Maynard Smiths Schul- und Studienzeit und natürlich durch seine fünfzigjährige Laufbahn. Außerdem erinnert Maynard Smith sich an Freunde und Kollegen, etwa an JBS Haldane und Peter Medawar.
Diese beiden Wissenschaftler treten auch in Maynard Smiths Archiv in Erscheinung, Haldane dabei mehr als Medawar. So befassen sich einige Ordner mit Haldanes (intellektuellem) Vermächtnis, einschließlich Briefen und Notizen zu Versammlungen in seinen Ehren, Anerkennungen, Vorlesungen und einer Kurzbiografie.
Andere wissenschaftliche Archive aus der jüngeren Vergangenheit, die Ihr an der British Library einsehen könnt:
- W. Ross Ashby (1903-1972): Add MS 89153
- George R. Price (1922-1975): Add MS 84115-84126
- Donald Michie (1923-2007): Add MS 88958, Add MS 88975 und Add MS 89072
- Anne McLaren (1927-2007): Add MS 83830-83981, Add MS 89202
- Marilyn Monk (1938-): Add MS 8915.
Eine weitere hervorragende Ressource an der BL, die sich mit der britischen Wissenschaft der jüngeren Vergangenheit befasst, ist die Voices of Science Sammlung. Diese umfasst Zeitzeugeninterviews mit führenden Wissenschaftler*innen und Techniker*innen und berichtet so über einige der bemerkenswertesten wissenschaftlichen und technischen Entdeckungen und Neuerungen des letzten Jahrhunderts. Ihr könnt diese Sammlung nach Themen durchsuchen oder Euch auf bestimmte Personen konzentrieren – es lohnt sich auf jeden Fall!
(Als Teil ihres kollaborativen PhD Projektes mit der Oral History Abteilung der BL sowie der University of Leicester führt meine Kollegin Emmeline Ledgerwood derzeit Zeitzeugeninterviews mit ehemaligen Wissenschaftler*innen und Staatsbeamt*innen durch. Diese werden nach und nach der bestehenden Sammlung hinzugefügt.)
Hier noch einige andere Archive, die nicht an der BL zu finden sind aber ebenfalls im Zusammenhang mit Maynard Smith und seiner Arbeit stehen:
- Haldane Papers, UCL Special Collections,
- Sir Peter Medawar Papers, Wellcome Library,
- R. A. Fisher Digital Archive, University of Adelaide.
(Bild: John Maynard Smith. Sussex, 1989. © Anita Corbin und John O’Grady. Zur Verfügung gestellt von John Maynard Smiths Familie.)